Die erste Brille kaufen. Wo und warum genau dort?
Was Kund*innen oft nicht wissen, wenn sie ihre erste Brille kaufen

Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen, die wegen einer Arbeitsplatz- oder Gleitsichtbrille zum ersten Mal ein Augenoptik-Geschäft suchen, einfach ein paar Optionen prüfen und sich dann für einen unabhängigen Optiker entscheiden? Und wie groß ist die Chance, dass ihre erste „richtige“ Brille aus einer Independent Eyewear Kollektion stammt?
Vermutlich nicht sehr groß.
Ich habe neulich eine Frau kennengelernt, mit der ich genau darüber sprach. Um die 50, absolute Modeexpertin mit sicherem Stilgefühl, selbstbewusst und vielseitig interessiert. Seit ein paar Monaten trägt sie eine Gleitsichtbrille – gekauft beim größten Filialisten.
Die Wahl war naheliegend – aber keine bewusste Entscheidung
Theoretisch hatte sie hier in Hamburg rund 200 Optiker zur Auswahl, davon rund 50 % unabhängig. Doch kein anderes Geschäft – auch nicht mein ehemaliges – kam für sie in Betracht. Sie wusste schlicht nichts über Brillen. Und noch weniger über die Unterschiede zwischen Optik-Filialisten und unabhängigen Geschäften.
Also wählte sie den naheliegenden Weg zur Lösung ihres Sehproblems. Heraus kam ein eher zurückhaltendes Modell einer Lizenzmarke, das ihr Bedürfnis nach Stil, Qualität und Sicherheit erfüllte – auch wenn sie das große Logo auf dem Bügel ein bisschen „too much“ fand.

Was ein Gespräch verändern kann
In unserem Gespräch hörte sie zum ersten Mal von den strukturellen, ästhetischen, handwerklichen und modischen Aspekten der Branche. Ihre Neugier wuchs – und irgendwann war da echte Begeisterung. Die vielen Details, die sie vorher nicht kannte, machten für sie plötzlich einen Unterschied. Und weil sie auch in anderen Lebensbereichen auf individuelle Lösungen setzt, ist Brille jetzt für sie kein Low-Interest-Thema mehr.
Jahrzehnte waren unabhängige Optiker zu wenig sichtbar
Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Über Jahrzehnte haben unabhängige Optiker der wachsenden Marktmacht und dem professionellen Auftreten der Filialisten wenig entgegengesetzt. Die großen Trends in Wirtschaft und Gesellschaft spielen ihnen auch nicht gerade in die Karten.
Die richtigen Werte, aber nicht wirkungsvoll kommuniziert
Doch es gibt sie weiterhin: Kund*innen, die Individualität, Unabhängigkeit, hochwertiges Design und ethische Werte schätzen. Werte, die perfekt zum Geschäftsmodell unabhängiger Optiker passen – oder passen könnten. Aber nur, wenn sie sichtbar gelebt werden. Sonst erfährt niemand davon.
Modewissen gibt’s im Überfluss – bei Brillen Fehlanzeige
Die Auseinandersetzung mit Mode hat die Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft ganz nebenbei gelernt. Die Medien, Influencer, Plattformen – haben ein brauchbares Basiswissen über Mode und Stil etabliert. Dazu gehört auch, dass der oder diejenige, die heute sagt, sie wisse nichts über die negativen Folgen von Fast Fashion, zumindest uninformiert wirkt oder, schlimmer noch, ignorant.
Über Brillen im Zusammenhang mit Stil und Mode reden jedoch nur ein paar Optiker und absolute Insider.

Die Zukunft gehört den unabhängigen Optikern, die mutig ins Rampenlicht treten
Wer sich heute als unabhängiger Optiker:in fragt, welche Rolle er oder sie in fünf Jahren spielen wird, sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich das „gute alte Geschäftsmodell“ einfach fortschreiben lässt – auch nicht mit größter handwerklicher und fachlicher Kompetenz und aufrichtiger Beratung.
Wer sichtbar und selbstständig bleiben möchte, muss die Individualisten ansprechen. Diejenigen, die auch in Zukunft alle Möglichkeiten nutzen wollen, um ihren Stil durch eine besondere Brille auszudrücken. Eine Brille, die in jeder Beziehung zu ihnen passt.
Dafür braucht es unabhängige Optiker, die absolut klar positioniert sind und ihr Konzept auf jeder Ebene inszenieren - und so zum Geprächsthema werden. Optiker, der es schaffen, sich schon vor der ersten Gleitsichtbrille in den Köpfen ihrer zukünftigen Kund*innen zu verankern.
Wollen wir darüber reden?